Der lange Abschied by Chandler

Der lange Abschied by Chandler

Autor:Chandler
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-01-31T16:00:00+00:00


25

Eine Woche lang passierte nichts, außer daß ich meinen Geschäften nachging, die mich um diese Zeit grad nicht eben überanstrengten. Eines Morgens rief George Peters von der Organisation Carne mich an und berichtete mir, er sei zufällig in der Gegend von Sepulveda Canyon gewesen und habe sich kurz mal auf Dr. Verringers Gelände umgetan, bloß so aus Neugier. Aber Dr. Verringer wäre nicht mehr dagewesen. Ein halbes Dutzend Trupps Landvermesser hätten das Gebiet parzelliert. Er wäre mit ein paar Leuten ins Gespräch gekommen, und die hätten von Dr. Verringer noch nicht einmal den Namen gehört gehabt.

»Der arme Hund ist mit einem Butterbrot abgespeist worden«, sagte Peters. »Ich hab das nachgeprüft. Die Kerls haben ihm einen Riesen gegeben für die Abtretung, bloß um Zeit und Kosten zu sparen, und jetzt hackt jemand das ganze Gelände in lauter kleine Wohnparzellen und macht eine glatte Million damit im Jahr. Das ist der Unterschied zwischen Geschäft und Verbrechen. Fürs Geschäft braucht man Kapital. Manchmal denke ich, es ist der einzige Unterschied überhaupt.«

»Eine sehr zynische Bemerkung«, sagte ich, »und im übrigen braucht man auch fürs Verbrechen Kapital, wenn es einigermaßen Format haben soll.«

»Und woher stammt das, mein Lieber? Nicht von Leuten, die eine Kneipe betreiben. Also dann. Bis demnächst.«

Es war in der Nacht auf Freitag, zehn Minuten vor elf, als Wade mich anrief. Seine Stimme klang belegt, fast gurgelnd, aber ich erkannte sie trotzdem irgendwie. Und ich konnte sein kurzes, hartes, hastiges Atmen über das Telefon hören.

»Ich bin in schlechter Verfassung, Marlowe. In ganz schlechter. Mir schwimmen die Felle weg. Können Sie’s einrichten, sofort herzukommen?«

»Klar – aber lassen Sie mich vorher noch einen Moment mit Ihrer Frau sprechen.«

Er antwortete nicht. Es gab ein krachendes Geräusch, dann Totenstille, dann nach einer kurzen Weile einen Bums, als stürze etwas um. Ich brüllte in das Telefon, bekam aber keine Antwort mehr. Zeit verging. Schließlich das leichte Klicken eines Hörers, der aufgelegt wurde, und das Summen einer freien Leitung.

In fünf Minuten war ich unterwegs. Ich schaffte es in knapp über einer halben Stunde, und ich weiß eigentlich noch heute nicht, wie. Ich sauste wie auf Flügeln über den Paß, geriet am Ventura Boulevard auf die Gegenfahrbahn, brachte es irgendwie fertig zu wenden, wurde von Lastern eingeklemmt und benahm mich insgesamt wie ein blutiger Narr. Ich raste mit knapp neunzig Sachen durch Encino, einen Scheinwerfer seitlich auf die geparkten Wagen gerichtet, damit jeder, der vielleicht Lust bekam, plötzlich zwischen ihnen hindurch auf die Straße zu treten, doch einen gelinden Schock abkriegte, falls er nicht ganz blind war. Ich hatte jenes Glück, das man nur hat, wenn man sich um nichts schert. Keine Polizei, keine Sirenen, kein Blaulicht. Nur Visionen von dem, was im Hause Wade vielleicht gerade passierte, und keine sehr angenehmen Visionen. Sie war allein mit einem betrunkenen Irren, sie lag mit gebrochenem Genick am Fuß der Treppe, sie hatte sich in einem Zimmer verbarrikadiert, und draußen tobte einer herum und versuchte, die Tür aufzubrechen, sie lief barfuß eine mondbeschienene Straße entlang, und ein riesiger Neger verfolgte sie mit einem Hackmesser.



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